Sukha – einige persönliche Reflexionen

von Dharmavajra

Wenn wir uns dem Begriff Sukha (Glück) nähern wollen, ist es nützlich sich die ursprüngliche Bedeutung anzusehen. Ein Wort, das aus zwei Silben besteht:

Sú = gut, wohl und Khà = Achsenloch

In einem gut funktionierenden Achsenloch läuft die Radnabe eines Streitwagens ungehindert, und der Streitwagen konnte von Pferden gezogen losrasen. So steht das Wort Sukha von Anfang an für das unbehinderte Fliessen und nicht nur für das Wort Glück, als das wir es heute auffassen.

Die Begriffe Sukha und Dukkha, also Glück und Leiden, kommen aus dem vedischen und klassischen Sanskrit, mit anderen Worten lange bevor Pali entstanden ist. Es ist oft interessant sich die ursprünglichen Wortbedeutungen anzusehen, denn dann zeigen sich andere Facetten des gleichen Wortes. Auch im Sanskrit bedeutete später Sukha und Dukkha Glück und Leiden. Aber anfänglich war es eben auch die frei sich bewegende Achse im Achsenloch eines Streitwagens gemeint, oder im anderen Falle die nicht frei sich bewegende Achse im Achsenloch. Mit anderen Worten freies Fliessen in dem einen Fall und starkes Gebremstsein und Gehemmtsein im anderen Fall.

Sukha ist somit das Gegenteil von Dukkha (Leiden), dem Gebremstsein nämlich, dem Leiden, dem Unzufriedengestelltsein. Aber ist es nicht oft die innere Einstellung zum Unzufriedengestelltsein das uns Situationen verschieden erleben lässt?

Im strikt buddhistischen Sinne muss Sukha gewiss das Freisein von Hass, Gier und Verblendung sein. Es ist auch eines der 3 Gefühle und kann körperlich wie geistig sein. Als das Gegenteil von Sukha wird auch Dukkha gesehen in Form der fünf Bestandteile einer Person (Khandha) und Sukha definiert sich dann als das Resultat des Achtfachen Pfades. Weiter berichten die Texte von den vier Perversionen und dazu gehört die Verdrehung der Wahrnehmung (sanna-vipallâsa) sowie sukha-sanna, d.h. Glück wahrzunehmen in dem, was eigentlich leidvoll ist (dukkha-sukha-sanna) – und damit ist eigentlich jede Form der Existenz gemeint (Anguttara Nikaya 4:49). Sukha ist auch eine Empfindung die im 3. Jhana auftritt.
Für die verschiedenen Arten von Sukha gibt es natürlich Termini auf Sanskrit und Pali, aber all das kann sehr theoretisch werden, und das ist nicht die Absicht meiner persönlichen Reflexionen. Kontemplationen über die hier kurz genannten Aspekte des Weges mag eine Stütze für den Mönch oder die Nonne sein. Auf dem Weg des Haushälters empfinde ich, dass die Definition des Freiseins von Hass, Gier und Verblendung hilfreicher ist.
Aber sind wir nicht immer noch weit davon entfernt, die Menschheit als solche aber auch viele von uns Einzelnen, trotz unserer buddhistischen Praxis?

Als Buddhisten – oder besser Menschen, die versuchen den Weg des Buddha zu gehen – haben wir in unserem Leben das Glück gehabt – sicherlich auf Grund günstiger karmischer Umstände – der Buddhalehre zu begegnen. Das ist ein grosses Glück, das uns auch Vertrauen erleben lässt. Neulich bei guten Freunden in Deutschland, habe ich an einem Retreat einer anderen Tradition teilgenommen und bin auf folgenden Vers gestossen:

Nimm jede Erfahrung,
gleichgültig wie sie ist,
mit Gleichmut und Hingabe.
Und habe immerzu Vertrauen.
Jede deiner Erfahrungen entspricht
höchster Weisheit.

Ich glaube es ist wichtig, dieses Vertrauen im Leben zuzulassen. Der Buddha forderte nie blinden Glauben, jedoch Vertrauen (Sraddha) von seinen Anhängern als Voraussetzung für jede Praxis auf dem Weg des Dharma. Dieses Glück von der Löwenpranke getroffen worden zu sein gibt unserem Leben eine Richtung, und ich empfinde es so, dass es uns auch Dukkha anders erleben lässt.

Etwas provozierend möchte ich eigentlich sagen, das Sukha auch Dukkha in sich enthält; denn vom Standpunkt des Alltagslebens (samvrtti-satya) ist das Gehen auf dem Weg des Buddha – so froh wir darüber auch sein mögen – nicht frei von unzufriedenstellenden und leidvollen Stunden. Aber gemessen am Glück die Lehre kennengelernt zu haben und sie praktizieren zu dürfen, wiegen die leidvollen Erlebnisse im eigenen Leben weniger schwer, relativieren sich und können leichter überwunden und ertragen werden. Und damit haften wir weniger an ihnen!

Natürlich sind Krankheit, Alter, Tod, Getrenntsein von Lieben, Zusammensein mit Unlieben leidvoll; andererseits leben viele von uns in Ländern wo wir die heilende Kraft der Dharma-Praxis in unserem Leben anwenden können ohne z.B. verfolgt, umgebracht oder ins Gefängnis geworfen zu werden. So kann sich zumindest unsere Einstellung zu Alter, Krankheit und Tod durch das Werkzeug der Dharma-Praxis verändern. Das ist doch wohl auch Glück!

Erinnern wir uns an die Belehrung aus dem Pali-Kanon von der Mutter, die mit ihrem toten Kind im Arm zum Buddha kam und das Kind nicht loslassen konnte und über seinen Tod nicht hinwegkam. Der Buddha führte sie sehr sanft zur Einsicht, einfach indem er sie bat aus jedem Haushalt in der Umgebung in dem niemand gestorben war einen Senfsamen zu bringen, was ihr nicht gelungen ist, sie aber zur Einsicht führte, dass sie nicht allein mit ihrer Trauer war.

Im Mahâyâna und Tantra geht man noch einen Schritt weiter, was Sukha betrifft. Die Chiffre “Mahasukha” steht hier für das grosse Glück, das grosse Erleben des Durchbruchs zur völligen Erleuchtung eines Buddha (Samyaksambodhi). Also nicht immer nur das Reden vom Leiden und der Vergänglichkeit, was die Lehre des Buddha in den Augen vieler Menschen zu einer lebensverneinenden, pessimistischen Religion abgestempelt hat.

Leiden/Unzufriedengestelltsein ist da, gewiss. Aber ohne die Veränderlichkeit (Anicca) keine Veränderung, weder zum Positiven noch zum Negativen. So kann auch die Veränderlichkeit als Glück gesehen werden; denn ohne sie gäbe es keine Erleuchtung. Zugegeben, es ist nicht leicht sich dies immer vor Augen zu halten, wenn wir grossen Schwierigkeiten im Leben begegnen, wenn z.B. die ganze Existenz vieler Familien durch Feuersbrunst vernichtet wird, wie kürzlich in Australien geschehen. Oder wenn wir tiefe Trauer über den Verlust eines Menschen oder Tieres empfinden, oder wenn die Erfahrung intensiver Liebe zu jemanden unerfüllt bleibt. Obwohl Liebe auf der sehr menschlichen Ebene auch meistens ein Festhaltenwollen (Vedanâ, Tanhâ, Upadâna) beinhaltet. Aber vielleicht gibt uns nach einiger Zeit die Praxis des Dharma genügend Kraft weiterzugehen und Loszulassen.

Für mich bedeutet Sukha eben das Glück einer mehr umfassenden Einstellung zum Leben, nicht hin-und-her-geworfen zu werden von den Gefühlen und Geschehnissen des täglichen Lebens, zuhause und im Beruf. Sukha ist für mich auch die Dankbarkeit. Sich verbeugen zu können und ja zu sagen zu verschiedenen Erfahrungen, freudigen wie schmerzlichen. Danke sagen zu können für das, was im Moment bei einem ist. Materielle wie immaterielle Güter. Aus allen Situationen können wir lernen. Jemand sagte mal, Dankbarkeit sei der Schlüssel zu den Schätzen des Universums. Da liegt viel Weisheit drin. Sukha ist auch ein sich öffnen können für Liebe und Reichtum im eigenen Leben auch wenn wir um die Veränderlichkeit wissen, und das ein zu sehr Festhaltenwollen oft Liebe und Reichtum ins Gegenteil verkehrt.

Abschliessend möchte ich mir erlauben einige Zitate aus den buddhistischen Schriften anzuführen, die hilfreich sind zum Verständnis von Sukha:

Es gibt kein grösseres Glück als den inneren Frieden.
(Dhammapâda, Vers 202)

Von Freude erfülltes Glück gibt es und das Glück des Gleichmuts (frei von den Begrenzungen des Egos), aber das Glück des Gleichmuts ist das höhere Wohlbefinden.
(Anguttara Nikaya, 2:7:9)

Der findet Glückseligkeit in der Lehre des Erwachten, der erkennt, dass das wahre Wesen des Dharma Frieden ist.
(Siksâ-samuccaya 14)

Und wieder zur Praxis:
Es gibt ein höheres Glück und ein reineres Wohlbefinden als das Glück der Sinnenbefriedigung. Und worin besteht das? Da verweilt einer fern von Begierden, fern von unheilsamen Dingen, mit gesammeltem Denken in der aus Abgeschiedenheit geborenen Seligkeit der ersten (meditativen) Versenkung (Dhyâna). Das ist ein höheres Glück und reineres Wohlbefinden als das Glück der Sinnenbefriedigung.
(Majjhima Nikaya 75)

Glück ergibt sich eben aus dem Gehen eines meditativen Weges in allen seinen Facetten. Lasst uns also Wanderer bleiben!

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